Kein fester Ort, nirgends

Der Schritt ins Leere. Wieviel ist dazu nötig? Wie verlässlich sind die Bezugspunkte,
an denen man sich im Laufe des Heranwachsens zu orientieren gewöhnt hat?
Eine tagträumerische Unaufmerksamkeit, eine plötzliche, mit überscharfer Deutlichkeit einbrechende Erinnerung können zum Stolperstein werden. Mit einem Bein noch im Hier und Jetzt, in der faktischen Wirklichkeit, gerät man für einen ganz kurzen Moment außer sich - lange genug, um zu begreifen, wie eng doch die Grenzen gesteckt sind, in denen wir uns gewöhnlicherweise bewegen! Und was, wenn wie bei Platons Höhlengleichnis die eigentliche Wirklichkeit erst dahinter beginnt? Die Zeichnungen, Objekte, Videobänder und Installationen von Heike Weber rühren an solchen ängsten und Sehnsüchten.
Das Bemerkenswerte daran ist, wie fest man sich hier an die Tatsachen klammern muß, um sich nicht im Sog der puren Anschauung zu verlieren. Denn über einen mit unruhigen Wellenlinien bedeckten Fußboden zu gehen, bedeutet keine wirkliche Gefahr; eine mit Haarnetzen bespannte Wand löst sich nicht wirklich auf. Soviel steht fest. Doch wieviel nützt demjenigen, der an Höhenangst leidet, das Wissen um die Sicherheit der Konstruktion? Wieso ist es so verführerisch, sich in diesen Strudel, in diese Weichheit fallen zu lassen? Wer die räumliche Orientierung verliert, fällt aus der Zeit. Alles geht sehr rasch, wie im Flug. Oder erscheinen die Sekunden eher zerdehnt bis zum scheinbaren Stillstand? Jeder Skifahrer kennt die kurzen Kippmomente, in denen die Angst vor der Geschwindigkeit plötzlich abfällt und einem Gefühl zeitenthobener Schwerelosigkeit weicht.

Sabine Müller, September 2000